Risiken im Mischverkehr
Flugzeuge im Anflug: sehen und gesehen werden

Wie wichtig die Luftraumbeobachtung beim Sichtflug ist, zeigt ein Zusammenstoß zweier Flugzeuge, die an einem stark frequentierten Flugplatz innerhalb der Platzrunde kollidierten. Im reinen Sichtflug sind sich die Piloten der Bedeutung von "See and Avoid" zumeist bewusst. Im Mischverkehr von VFR und IFR gerät das mitunter in Vergessenheit. Dabei ist es hier noch weit anspruchsvoller, die Übersicht zu behalten.

Flugzeuge im Anflug: sehen und gesehen werden
Foto: TDH

Der Unfall Mitte April 2018, bei dem eine Cirrus SR20 mit einer Dallach D4 Fascination am Flugplatz Schwäbisch Hall zusammenstieß, zeigt die mit Mischverkehr verbundenen Herausforderungen auf. Der Pilot der SR20 wollte sich auf seinen bevorstehenden IFR-Checkflug vorbereiten und dazu das häufig praktizierte Verfahren von Übungsanflügen (sog. practise approaches) in Schwäbisch Hall nutzen.

Übungsanflüge speziell für IFR-Verfahren

Diese "practise approaches" sind Übungsanflüge unter Sichtflugbedingungen, die den offiziellen IFR-Verfahren entsprechen. Besonders an Flugplätzen mit Mischbetrieb von VFR und IFR wird diese praxisorientierte Möglichkeit genutzt. Die Vorteile solcher Übungsanflüge liegen auf der Hand: In der Regel entfallen Slot-Anfragen bei der DFS, lediglich die Flugleitung vor Ort muss im Vorfeld kontaktiert werden. Auch ist der obligatorische Anruf beim Wachleiter der DFS zur Koordination der regulären IFR-Anflüge nicht notwendig. Insgesamt gibt es dabei weniger bürokratische Hindernisse, Zeitersparnis und – je nach Flugplatz – es entfallen die neu veranlagten Anfluggebühren.

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Holland-Moritz

Elektronische Helferlein im Cockpit verleiten inzwischen allzu oft dazu, den Blick aufs Panel anstatt nach draußen zu richten.

Training gerne gesehen – aber nicht jederzeit

Der Verkehrslandeplatz Schwäbisch Hall gehört zu den am häufigsten frequentierten Flugplätzen mit Mischbetrieb in Deutschland. Um die Besonderheiten des Miteinanders von IFR und VFR hervorzuheben, ist auf der Homepage des Platzes ein Safety Letter für ortsansässige und fremde Piloten veröffentlicht. Zum Thema Übungsanflüge findet sich hier Folgendes: "Auch die Nutzung unserer IFR-Verfahren unter VFR-Bedingungen ist gerne gelebte Praxis. Wir unterstützen es ausdrücklich, wenn Piloten ihre fliegerischen Fähigkeiten auffrischen und derartige Trainingsflüge durchführen wollen. Auch hier möchten wir jedoch darauf hinweisen, dass diese Vorhaben nicht immer in den Verkehrsfluss passen und insbesondere dann, wenn sie ohne Absprache mit den AFISOs oder der Flugverkehrskontrollstelle erfolgen, ein hohes Gefahrenpotenzial bergen."

TDH

IFR-Fähigkeit darf nie darüber hinwegtäuschen, dass im Luftraum E "See and Avoid" gilt.

Echter Schutz für IFR nur in Kontrollzonen

Ist ein Flugzeug nach Instrumentenflugregeln unterwegs, so ist es grundsätzlich vom VFR-Verkehr separiert. Allerdings gilt das zunächst nur für Verkehrsflughäfen, die durch eine Kontrollzone geschützt sind. Innerhalb dieser staffelt die Flugsicherung jeglichen Verkehr durch Freigaben mit gesetzlich definierten Mindestabständen zueinander. Der meist darüberliegende Luftraum C schützt den IFR-Verkehr zusätzlich. Wie ist aber die Situation an Flugplätzen ohne Kontrollzone und ohne darüberliegendem Luftraum C? Ist ein Flugplatz für IFR zugelassen, verfügt aber nicht über eine Kontrollzone, so wird der an- und abfliegende IFR-Verkehr durch eine Radio Mandatory Zone (RMZ) geschützt. Im Zuge der Vereinheitlichung mit den EASA-Standards wurde mit Einführung der RMZ der Luftraum F in Deutschland abgeschafft. Dieser hatte ebenso den Zweck, VFR- und IFR-Verkehr im Mischbetrieb sicherer zu gestalten. Dafür wurden seinerzeit zwar höhere Sichtweiten und Wolken-abstände im Luftraum F implementiert, allerdings gab es keine verbindliche Vorschrift für eine Funkverbindung, wie es in der RMZ verlangt wird.

Mit Radio Mandator Zones sind unkontrollierte Plätze geschützt, an denen IFR-Verkehr stattfindet. Die ILS-An- und Abflüge sind inzwischen auf den Anflugblättern und in der ICAO-Karte eingezeichnet.

Keine verbindlichen Freigaben

Die laterale Ausdehnung einer RMZ entspricht grob der einer Kontrollzone. Vertikal erstreckt sie sich allerdings nur bis 1000 Fuß über Grund. Darüber beginnt dann der (meist abgesenkte) Luftraum E mit entsprechenden Sichtflugmindestbedingungen. Wichtig für IFR und VFR gelichermaßen ist, dass wir in E zwar im kontrollierten Luftraum fliegen, allerdings ohne Staffelung und Überwachung der Flugsicherung. Gefährliche Annäherungen von VFR zu IFR sind hier ein alltägliches Risiko. Ähnlich wie bei einer Kontrollzone sind in einer RMZ Ein- und Ausflug zu melden, eine Freigabe ist allerdings nicht erforderlich. Innerhalb der Zone müssen die Piloten ständige Hörbereitschaft halten. Zu berücksichtigen ist zudem, dass innerhalb der RMZ keine Verkehrslenkung stattfindet und der Flugleiter keine Freigaben erteilt. Vielmehr dient der Flugleiter hier als Relaisstation für den DFS-Radarlotsen und kann natürlich zur Gefahrenabwehr auch Anweisungen über Funk erteilen.

Situational Awareness ist höchste Priotität

Der beschriebene Unfall ereignete sich bei Sichtflugbedingungen. Ob sich dabei der auf dem Übungsanflug befindliche Pilot der SR20 unter dem vermeintlichen Schutz der Luftraumstruktur wähnte, bleibt Spekulation. Für den eigentlichen Unfallhergang scheint es jedoch zweitrangig, ob es sich um VFR- zu IFR- oder VFR- zu VFR-Verkehr handelte. Fakt ist, dass sich beide Flugzeugführer nicht gesehen haben, Fakt ist aber auch, dass der Flugleiter eine Landereihenfolge vorgeschlagen hatte. Eine Verkettung unglücklicher Umstände, die trotz RMZ jederzeit wieder entstehen könnte. Der Unfall von Schwäbisch Hall macht deutlich, dass wir uns jederzeit bewusst machen müssen, in welchem Luftraum wir uns bewegen und dass, sobald wir im Sichtflug unterwegs sind, die Luftraumbeobachtung allerhöchste Priorität hat. Die mangelnde fliegerische Kompetenz des Situationsbewusstseins, im Luftfahrt-Englisch als "situational awareness" bezeichnet, unter die die Luftraumbeobachtung zweifelsfrei fällt, gilt als einer der häufigsten Unfallursachen der Allgemeinen Luftfahrt.

Robert Kluge

An Plätzen mit Mischverkehr wie Schönhagen fungiert der Flugleiter als Relaisstation zwischen Radarlotsen und Piloten.

Wir können aus solch komplexen Flugunfällen wie dem in Schwäbisch Hall nur lernen, unsere Schlüsse ziehen und vielleicht das eine oder andere Stellrad betätigen, damit wir gar nicht erst in eine solche Situation geraten.

Tipps für mehr Sicherheit nicht nur bei Mischverkehr

Der von der BFU veröffentlichte Funkverkehr hat gezeigt, dass keiner der beiden verunfallten Piloten sich seiner eigenen Position in Bezug auf das andere Flugzeug bewusst war. Unter Umständen könnten exakte und standardisierte Positionsangaben helfen, Standorte für sich selbst und anderen Verkehr zu verdeutlichen. Beispielsweise "D-XX, rechter Gegenanflug Piste XX". Die reine Nennung "Gegenanflug Piste XX" würde hingegen bedeuten, dass sich das Flugzeug im linken Gegenanflug befände und man das andere Flugzeug an einer komplett anderen Stelle vermuten und auch dort danach suchen könnte. Die Arbeitsbelastung ist selbst für geübte IFR-Piloten in Single Pilot Operations nicht zu unterschätzen. Für IFR-Übungsanflüge ist es nicht nur sinnvoll, sondern im Sinne von "good airmanship" notwendig, entweder einen Sicherheitspiloten oder zumindest einen Luftraumbeobachter mit an Bord zu haben. Die mehrfachen verkehrsbedingten Abbrüche des Übungs-ILS im beschriebenen Fall haben sich sehr wahrscheinlich ebenso auf die Konzentration des Piloten ausgewirkt wie die hohe Arbeitsbelastung über zwei Stunden.

Elektronische Helfer für mehr Sicherheit

Die Luftraumbeobachtung ist im Sichtflug eines der wichtigsten Elemente. Die Grundregel 80 Prozent rausgucken und nur 20 Prozent ins Cockpit "on instruments" fällt besonders im Zeitalter der Glascockpits nicht immer leicht. Um die menschlichen Defizite bezüglich der "situational awareness" zumindest ein Stück weit zu kompensieren, gibt es inzwischen etliche Kollisionswarngeräte für die GA zu erschwinglichen Preisen. ADS-B, Mode-S und FLARM sind die Stichworte, und zusätzlich gibt es Apps, die auf Tablet oder Handy anderen Verkehr via Internet als Livedaten anzeigen können. Diese elektronischen Helfer können unsere Fliegerei bereichern und machen sie sicherer – sofern "See and Avoid" darüber nicht vergessen wird.

uAvionix

Kollisionswarngeräte helfen, im Verkehr die Übersicht zu behalten.

Auf sich selbst aufmerksam machen!

Schließlich gilt, dass derjenige, der besonders auffällig ist, auch besser gesehen wird. Mein Tipp: Machen Sie auf sich aufmerksam! Schalten Sie Landescheinwerfer und Strobelights ein, oder bringen Sie Folie in Tagesleuchtfarbe an. Und ganz wichtig: Schalten Sie den Transponder wie vorgeschrieben ein! Schließlich hilft ein einfacher Grundsatz: Wenn Sie den Verkehr insgesamt nicht einschätzen, gemeldeten Verkehr nicht visualisieren können oder einfach ein schlechtes Bauchgefühl haben: Verlassen Sie die Platzrunde, verschaffen sich einen Überblick und ordnen sich neu ein.

Uwe Wendt

Der Autor: Uwe Wendt ist Berufspilot, Fluglehrer, Prüfer und Luftfahrtsachverständiger und fliegt Passagierjets, Turboprop-Businessflugzeuge sowie Propellermaschinen. Er bietet für Lizenzpiloten Sicherheitstrainigs und Fortbildungen an und ist seiner Freizeit gerne mit seiner Extra 300 L in der Kunstflugbox unterwegs. Er ist erreichbar über seine Website www.flight-training-wendt.de

Die Entwicklung ist eindeutig: Der Luftraum wird immer voller und die Flugzeuge immer besser instrumentiert. Die Pilotenausbildung wird mehr und mehr technologisiert, und wir als Piloten, egal ob Profi oder Hobbyflieger, müssen uns der Verantwortung stellen, uns ständig weiterzuentwickeln. Einerseits kann ein Glascockpit mit Kollisionswarngerät sehr helfen, andererseits laufen wir Gefahr, uns zunehmend auf die Technik zu verlassen und die Luftraumbeobachtung zu vernachlässigen. Besonders in der Platzrunde ist das Rausschauen überlebenswichtig!

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Erscheinungsdatum 25.04.2024